Urlaub in Auras vom 13. Juli bis 25. Juli 1965
Ein Reisebericht von Eberhard Halm
Eberhard Halm, geb. 26.Juli 1930 besuchte sein altes Heimatstädchen Auras, in dem er seine Kindheit verbracht hat recht oft. Einen seiner Reiseberichte mit etwa 100 Fotos konnte ich für die Leser der Auras-Uraz Internetseite aufarbeiten. Er starb viel zu früh, am 25. April 2010. Seiner Schwester Christine möchte ich hier für die Unterlagen dieser frühen Reise in unsere alte Heimat danken.
In seinem Nachsatz schrieb Eberhard Halm...
Die Zeit vergeht. Es wachsen dort neue Menschen heran, deren Heimat es geworden ist was einmal unsere Heimat war. Man ist doch fremd dort. Man geht durch bekannte Straßen, weiß wer da und dort gewohnt hat, weiß, was sich abgespielt hat, und ist jetzt dort als Fremder. Vielleicht ist es anders wenn man sich sprachlich verständigen kann.
Anmerkung von A.Zahlten: Nach 1945 wurden in Auras Menschen aus den von Russland besetzten Gebieten Polens angesiedelt während die noch verbliebenen Deutschen die ihren Staatszugehörigkeit behalten wollten vertrieben wurden. Die komunistische Polnische Regierung vernichtete alles was an die Deutsche Vergangenheit erinnerte. Für Deutsche die noch zurückblieben und eine polnische Familie gründeten war die Deutsche Sprache öffnetlich verboten. An Schulen gab es nichts was an die Deutsche Vergangenheit erinnerte, ebenso wurden systematisch Denkmäler, Schlösser, evangelische Friedhöfe und Kirchen vernichtet. Deutsche Bücher, selbst Kirchenbücher verschwanden. Für die komunistische Regierung gab es keine deutsche Vergangenheit.
Die Kinder der einst selbst aus ihrer Heimat vertriebenen und jetzigen dort lebenden Bevölkerung möchte über die Geschichte ihrer jetzigen Heimat mehr wissen. Das fehlende Deutsch an den Schulen ersetzten sie durch Englisch und Französisch, statt komunistischen Parolen zu glauben informieren sie sich im Internet über die Geschichte Ihrer und unserer alten Heimat. Die Rechnung der komunistischen Regirung ging nicht auf.
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Einleitung
Vorbereitung und Fahrt
13.07.65: Auras, Hauffen (Uraz, Hauffen gibt es nicht mehr)
14.07.65: Obernigk (Oborniki Slaskie)
15.07.65: Riemberg (Roscislawice)
16.07.65: Breslau (Wroclaw)
17.07.65: Auras, Jäckel (Uraz, Jary)
18.07.65: Auras (Uraz)
19.07.65: Konradswaldau (Gorowo)
20.07.65: Auras, Radtour
21.07.65: Glatz (Klodzko)
22.07.65: Dyhernfurth (Brzeg Dolny)
23.07.65: Breslau
24.07.65: Obernigk
25.07.65: Rückfahrt
Zusammenfassung
Einleitung
Da die Schreibmaschine ½ Jahr zur Reparatur war, hat sich der Bericht verspätet. Anhand der Aufzeichnungen, die ich während des Aufenthaltes in der Walke ( Weitewalke=Niziny) gemacht habe, will ich versuchen, einen Bericht zu geben, damit man sich ein Bild machen kann, wie es dort jetzt aussieht.
In manchen Ausführungen werde ich mich kürzer fassen und verweise daher auf den Bericht über die Osterreise vom 27.03. bis 30.03.1964.
Vorbereitung und Fahrt
Geplant war die Fahrt schon lange. Dank einer Einladung der beiden Schwestern Pezuck, die in der Walke auf dem Ecke-Hof leben, konnte ich 2 Wochen bei ihnen verbringen. Voriges Jahr hatte ich sie besucht, als ich Frau Lutonin aufsuchen wollte, die bei ihnen lebte. Frau L. fuhr im Februar 1965 nach Westdeutschland zu Ihren Kindern. - Ich erhielt die Nachricht, dass Frau L. im Oktober 1965 verstorben ist.
Mit der formlosen Einladung, die im Brief stand, ging ich hier zur Polizei, um die Reisegenehmigung zu beantragen. Nach 14 Tagen durfte ich sie gegen Entrichtung von MDN 5,-- abholen. Danach bestellte ich beim Reisebüro die Fahrkarten. Am 29.6.1965 tauschte ich auf Antrag bei der Deutschen Notenbank Geld um. Für 213,50 MDN erhielt ich 1000,-- Zloty. Eigentlich bekommt man nur Zloty für 34,00 MDN umgetauscht. Doch auf einen Antrag kann man mehr erhalten. Dabei spielt die Berufsausbildung eine Rolle. Ich hätte bis zu 2000,-- Zloty umtauschen können.
Am 10.7.1965 konnte ich endlich die Fahrkarten abholen. Einschließlich Rückfahrt und Umwegkarte über Berlin kam die Fahrt 47,50 MDN oder 14,14 Rubel. Gepackt hatte ich schon alles.
Am Sontag den 11.7.1965 fuhr ich abends hier mit dem D-Zug Wernigerode-Berlin um 19,40 Uhr ab. Der Zug war so voll, dass ich erst ab Brandenburg einen guten Stehplatz hatte. In Berlin-Ostbahnhof ging es um 22,30 Uhr weiter. Der Zug kam von Wismar und fuhr über Berlin-Görlitz-Breslau nach Krakau. Wenn ich keine Platzkarte gehabt hätte, wäre mir bis Lübbenau nur ein Stehplatz zuteil geworden. Der Speisewagen war schon in Berlin ausverkauft. Ich hatte nämlich keine Verpflegung mitgenommen, denn in solchen Zügen gibt es normalerweise Speisewagen, die auch etwas anzubieten haben. Er wurde in Berlin auch nicht aufgefüllt, so dass wir also keinerlei Esswaren oder etwas trinkbares zu kaufen bekamen.
Ich hatte genug Gepäck mit, da ich allerlei getragene Sachen mitnahm, die dort sehr gebraucht werden. Da der Zoll so hoch ist, lohnt sich das schicken als Paket nicht.
Wie es sich herausstellte waren wir 6 Personen in unserem Abteil, die nach dem Osten reisen wollten, meist zu Verwandten. Die anderen fuhren alle nach Oberschlesien weiter, nur ich verließ in Breslau den Zug. 2,50 Uhr waren wir in Görlitz. Die Kontrolle verlief glatt und schnell. Wir durften allerdings nicht auf den Bahnsteig, um uns am Kiosk etwas zu kaufen. Dann ging es über die Neiße nach Görlitz-Ost (Zgorzelec). Auch dort ging die Kontrolle schnell vorüber. Dann ging es über Kohlfurt (Wegliniec), Liegnitz (Legnica) nach Breslau, wo wir Montag morgens pünktlich um 7.13 Uhr ankamen. Die Bahnfahrt reichte auch. Es war sehr lang geworden. Den Koffer gab ich erst mal ab und löste mir die Fahrkarte nach Pegow, (Hennigsdorf). Denn ich hatte nur eine Karten bis Breslau. Angeblich sollte der Eisenbahntarif umgestellt worden sein, so daß man hier neu bezahlen musste. Na, ich wusste ja Bescheid. Anschließend besorgte ich mir erst einmal einen Kaffee. Das war eine Wohltat. Danach ging ich zur Post, um meine Ankunft hier nach hause zu melden. Bei Regenwetter unternahm ich dann einen Stadtbummel: Gartenstraße, Schweidnitzerstraße, Ring, Ohlauerstraße, Ohlauer Stadtgraben, Hauptbahnhof. Um 10.27 Uhr konnte ich dann weiter. Auf dem Bahnsteig traf ich Reisende, die in die Nähe von Öls wollten und auch auf den Anschlusszug warteten. In Hennigsdorf (Pegow) ließ ich den Koffer auf dem Bahnhof. Es klappte sogar mit der Verständigung, war man doch meistens auf Zeichensprache angewiesen. Bei leichtem Nieselregen bin ich nach Auras gepilgerte. An der Raaker Ecke (Rakow) traf ich 2 Polinnen, die gerade Futter geholt hatten. Sie wollten allerlei wissen, doch war die Verständigung sehr schwer. Jedenfalls brachte mich die eine Frau zur Pezuch-Tochter, die jetzt auf dem Lutoni-Grundstück wohnt, welches sie sich mit der Familie aufgebaut haben.
Nach kurzer Pause ging es dann weiter an der Miersbe-Mühle, Nowak vorbei in die Walke. Dann reichte es mir aber gründlich. Inzwischen wurde der Koffer geholt. Es wurde erst mal ausgepackt und die Sachen verteilt. Dabei gab es viel zu erzählen.
Dienstag, den 13.07.1965
Nach dem Frühstück wurde erst mal Post erledigt und weggebracht.
Die Post ist noch im Auraser Rathaus drin. Das Rathaus ist geteilt: vorn rechts Post, linke Kaufladen. Die Mauer im Flur trennt den hinteren Eingang ab, der nach oben zu den Wohnungen führt. Der Postangestellte, er wohnt im Pfarrhaus, spricht etwas deutsch durch seinen Aufenthalt in Hannover und Göttingen während des Krieges.
Kaßner Ernst, Sohn Manfred, Adelheit Pezuch
Dann wollte ich Frau Schiller besuchen. Sie war gerade ½ Stunde vor meiner Ankunft mit dem Krankenwagen nach Trebnitz (Trzebnica) ins Krankenhaus gebracht worden, wegen ihrer schlimmen Beine. Die Verwandten aus Oberschlesien waren da, mit denen ich mich unterhalten habe. Die Eltern versorgen nun den Haushalt, die junge Frau arbeitet als Verkäuferin im Rathaus, ihr Mann ist in Rokita (chem. Werke bei Dyhernfurth) als Elektriker. Sie wollten gern nach Deutschland übersiedeln, doch bekommen sie keine Ausreisegenehmigung, da sie weder hier noch im Westen Verwandte haben.
Sie sprechen aber noch deutsch, wenn auch nicht mehr die Kinder. Mit ihnen kann man sich gar nicht verständigen. So ging es mir auch bei Pezuch, die 5-jährige Margot ihrer Schwester, die in Oberschlesien verheiratet ist, zu Besuch hatte. Pferdchen konnten wir zusammen spielen, denn „Hüh“ und „Brr“ verstanden wir beide.
Die junge Frau mußte dann zum Dienst. Sie nahm mich gleich mit, da ich mich polizeilich anmelden wollte. Das erschien mir bei meinem längeren Aufenthalt dort wichtig, wenn es auch nicht erforderlich ist. Wenn man sich nicht auffällig benimmt, kann man sich dort frei bewegen. Um nicht zu sehr aufzufallen, hatte ich den Fotoapparat immer im Campingbeutel mit und machte nur Aufnahmen, wenn fast niemand anwesend war. Anders war es allerdings in Breslau oder Görlitz, wo man als Fremder nicht so auffiel.
Im Haschke-Haus wohnt der Gemeindevorsteher. Er war für die Anmeldung nicht zuständig. Der Bürgermeister sitzt in Hennigsdorf und hat 7 Dörfer unter sich. Walke gehört ebenso wie Jäckel polizeilich zu Obernigk . Zur Schule müssen die Kinder aus der Walke nach Auras gehen. Leider konnte ich nicht die Einwohnerzahl von Auras ermitteln, nur daß es 300 Haushalte gibt, jedoch wie viele Menschen leben dort? Im Bösang-Haus an der Dyhernfurtherstr. Leben 4 Personen, im Strietzel-Haus eine Person, ebenso auf dem Weidner-Hof in der Siedlung. Das Schwabe-Haus neben dem Spittel ist noch bewohnt, Muttel Gebhardts-Haus wurde abgerissen und ebenso wie die anderen Trümmer auf den Sommerweg nach Walke gebracht. Die Trümmer vom Schäfergrundstück sind auch verschwunden. Da ich nichts erreichen konnte, war ich schnell noch an der Oder und bin dann an der Werft vorbei hinter dem Sägewerk zur Walke gegangen. Da es immer erst spät Mittagessen gab, bin ich gleich noch nach Hauffen (Zalesie) gelaufen, bis zum Henke-Berg (Frl. Henke hatte dort oben ihr Häuschen aus 2 Eisenbahnwagen erbaut. Ist noch bewohnt)
Es folgen die inzwischen gemachten Bilder
Den Warteberg kann man kaum noch sehen, so groß ist der Wald geworden. Nur vom Dach ist noch etwas zu sehen. Jetzt befindet sich auf dem Warteberg ein Altersheim. Hauffen selbst sieht trostlos aus. Nichts steht mehr dort. Nur einige kümmerliche Schuttberge erinnern noch daran, daß dort mal eine Siedlung war. Es ist unheimlich, alles so still. Etwas vom Bürgersteig sieht man noch. Die Felder sind verschwunden. Es wurde Wald angepflanzt. Einige Obstbäume stehen noch da, wo früher die Gärten waren. Vor Hauffen befindet sich jetzt die Kreisgrenze.
Wie in Hauffen soll es auch in Vogtswalde aussehen. Man hat auch dort niemanden angesiedelt, sondern alles restlos zerstört, weil man befürchtete, es könnten sich Partisanen dort verstecken.
Nach 18 Uhr bin ich dann zum Birkenweg gegangen und ihn entlang nach Auras.
Im Wald sind die Gräber von Frau Zahlten (Auras, Dyhernfurtherstr. 24) und Herr Kahler aus Jäckel , die am 6.Feb.1945 dort erschlagen wurden.
Da bei Kalkus alles eingezäunt ist, die Hälfte der Schäferei ist eingefallen, mußte ich bis zum Friedhof gehen um dann zur Miersbe-Mühle um zurück nach Walke zu gelangen.
Mitwoch, den 14.07.1965
Nach dem Frühstück fuhr ich um 8.48 mit dem Bus nach Obernigk. Er kommt von Obernigk über Riemberg, Auras, Hennigsdorf zurück nach Obernigk. Nachmittags fährt er in entgegengesetzter Richtung die Tour.
Zum Glück sind von den vielen Pezuch-Kindern überall welche verheiratet, was für mich zum Vorteil war. So ist in Obernigk Elisabeth Pezuch verheiratet. Sie arbeitet in der Post, wo sie auch wohnt. Ihr Mann ist als Maurer in Breslau beschäftigt und fährt täglich mit der Bahn.
Nachdem die Junge Frau den Haushalt versorgt hatte, sie war morgens schon 3 Std. beim Fleischer gewesen um etwas zu bekommen, denn in Obernigk gibt es für die ca. 8000 Einwohner nur einen Fleischer, kam sie mit mir zur Gemeinde als Dolmetscherin. 2 Zloty kostete die Anmeldung, doch dann hatte ich das Papier in der Hand. Dann bin ich an der Konservenfabrik vorbei zum Bad gelaufen, zur kath. Kirche und zurück zum Bahnhof. Dort fuhr dann der Bus wieder ab. Im Zentrum wo sich der Fleischer befindet, ist einiges zerstört. Sonnst ist Obernigk noch vorhanden. Der Bahnhof noch genau so wie er war. Die einzelnen Sanatorien dienen auch heute noch ihrem Zweck. Obernigk hat seine Funktion als Luftkurort behalten. Gleich am Bahnhofsplatz ist eine große Tafel aufgestellt, aus der man die Lage der einzelnen Sanatorien ersehen kann und den kürzesten Weg dorthin.
Post und Apotheke sind unverkennbar die alten Gebäude geblieben. Die evangelische Kirche in der Trebnitzerstr. Dient als Magazin. Äußerlich ist davon nichts zu sehen, nur an der Seite sind die großen Eisentüren sichtbar, die man einbaute. Außerdem ist ein lebhafter Lastwagenverkehr zur Kirche hin.
Übrigens ging die Anmeldung nicht so schnell vonstatten wie es sich liest. Man braucht halt viel Zeit. Die Angestellte stellte nämlich noch einige Fragen, die aber zum größten Teil nicht zu der Anmeldung gehörten. So ist es auch an anderer Stelle: für einen „Schwatz“ haben die Leute immer Zeit. Was mir auch auffiel, auch Frauen rauchen auf der Straße. Sogar als Verkäuferin wenn sie Kunden bedienen. Sie lassen sich nicht stören.
Donnerstag, den 15.07.1965
Nach 9 Uhr ging es zu Fuß nach Riemberg. Dort ist ein Bruder von Pezuch verheiratet, er wohnt seit 1958 dort. Seine Frau ist aus Oberschlesien, wo es noch viele Deutsche gibt. Sie wohnen in einem kleinen Haus gegenüber von Jaskioala. Karl kam mit auf den Rundgang durch Riemberg. Mir waren solche Begleitungen immer angenehmer, schon wegen der Sprache, konnte ich mich doch nicht verständigen. Wir gingen zunächst zur Kirche, die abgeputzt wurde (ein Bruder Karls, der in Breslau verheiratet ist) machte es. Die Anlagen um die Kirche werden sauber gehalten. Die alten Grabsteine sind verschwunden. Die Schule wird benutzt.
Vom Pfarrhaus stehen nur noch die Grundmauern und die Eingangstreppe. Dagegen ist das Backhaus noch da, an der Friedhofsmauer. Dann gingen wir zum Friedhof. Der Weg ist fast zugewachsen, ebenso verwahrlost sieht es auf dem Friedhof aus. Wer sollte es auch in Ordnung halten, die Verstorbenen werden nach Obernigk gebracht. Von Wegen ist nur schwer etwas zu erkennen, ebenso von den Grabstellen. Einige Grabsteine sind noch vorhanden, einige fehlen, sind zerstört oder völlig zugewachsen.
Es folgen Bilder vom Riemberger Friedhof
Mit den Füßen tappten wir uns vorwärts, von einem Grabhügel zum anderen. Nach der Aufzeichnung fanden wir die Grabstelle der Großeltern. Der Grabstein war umgestürzt und Zugewachsen. Wie konnten ihn nicht aufheben. So lief Karl ins Dorf zurück, um eine Brechstange zu holen. Während seiner Abwesenheit bummelte ich über den Friedhof, so weit es möglich war. Dabei entdeckte ich das Grab von Julius Weinhold. Einige Stellen weiter war die Gruft erbrochen worden. Der schwere Deckel lag schräg obenauf. Es war richtig unheimlich, obwohl es gegen die Mittagszeit war. Nichts hörte man, nichts sah man von der Umgebung. Nur Spuren von Vieh, welches dort geweidet hatte, entdeckte ich. Der Riemberger Friedhof sieht wohl etwas besser aus, nicht so verwüstet wie der Auraser. Vielleicht liegt es daran, dass er weitab von der Straße liegt. Karl kam mit der Brechstange zurück, mit deren Hilfe und anderer Grabsteine wir den Grabstein aufrichteten. Er war gut erhalten. Mit Gras haben wir ihn abgewischt. Die Schrift ist noch gut zu lesen. Wir lehnten ihn an den Ahornbaum der an der Einfassung wuchs, denn auf die Einfassung konnten wir beide den Stein nicht wuchten. Die Einfassung ist noch ganz vorhanden.
Anschließend waren wir in der Kirche. Der Küster holte den Schlüssel und schaltete Licht zur Aufnahme ein. Die Emporen sind entfernt worden, die Wände glatt getüncht, das Deckengemälde ist noch vorhanden. 2 neue Seitenaltäre wurden errichtet, von denen einer der schwarzen Madonna von Tschenstochau geweiht ist.
Danach gingen wir noch bis zum Grundstück der Großeltern am Ende des Dorfes. Ob wir den richtigen Platz gefunden haben? Denn Brücken nach zu urteilen, die über den Straßengraben führen, war es der richtige Ort. Einige Obstbäume waren noch da und einige Trümmer lagen verstreut umher. Gegenüber sah man noch Reste von Lichners Haus. Sonst fehlte dort sehr viel. Der Große Schornstein blieb stehen als geometrischer Punkt, alles andere wurde abgeräumt, es entstanden Weiden und Felder. Vom Armenhaus keine Spur mehr vorhanden, nur Wald ist an seiner Stelle. Man findet sich nicht zurecht. Die alten Linden, die gerade blühten und viel Schatten spenden, da sie sich stellenweise fast berührten mit ihren Kronen, sollen gefällt werden, da sie den Verkehr behindern. Der Verkehr ist sehr rege, geht es doch da auf guter Straße nach Rokita. (Werk in Dyhernfurth)
Die Scheune auf dem Dominium brannte schon dreimal ab, nun wird sie nicht wieder aufgebaut. Das Wohnhaus sieht sehr ungepflegt aus. Im Teich baden Kinder. Die Oberförsterei war frisch abgeputzt. Dann gingen wir zum Mittagessen zu Karl nach Hause. Als er damals mit der Familie in das Haus einzog, gab es viel aufzuräumen. Bei Jaskiola im Haus war damals ein Laden (jetzt auf Gundnigs Grundstück als Neubau ein Geschäft), die Gitter vor den Fenstern erinnern noch daran. Dort gab es Bier zu kaufen. Das leerstehende Haus gegenüber wurde als Toilette benutzt.
Wir gingen dann noch in Richtung Obernigk weiter. Das große Haus links (war wohl eine Bäckerei) ist nur unten bewohnt. Oben ist alles vernagelt, obwohl es noch gut erhalten aussieht. Doch der Besitzer will keine Mieter aufnehmen. Die Grundsteuern sind auch so gering, dass er sich eine leerstehende Wohnung leisten kann. Einige neue Häuser sind dort entstanden, doch auch noch einige Lücken und Trümmer sah man. Es gibt eine Bestimmung, das alle Straßen und die anliegenden Grundstücke in Ordnung gehalten werden müssen. Man sah es deutlich, denn ging man etwas abseits, sah es stellenweise recht wüst aus.
Wir gingen durch die Felder auf den Liebenauer Weg zu. Bei aufziehendem Gewitter landeten wir in der Walke.
Freitag, den 16.07.1965
Um 7.10 Uhr ging es mit dem Bus nach Breslau. Wir stiegen nicht am Rathaus ein, sondern schon an der Haltestelle hinter der Werft. Rosa fuhr zum Markt, wo sie Eier, Sahne Quark verkaufen wollte. Ihr Bruder wohnte im ehemaligen elterlichen Haus nähe Schießwerderplatz, auf dem Markt abgehalten wird.
Wir fuhren über Raake, Kottwitz (Kotowice), Pannwitz (Paniowice), Schebitz (Szewce), Weidenhof (Swiniary), Leipe-Petersdorf (Lipa Piotrkowska) zum Odertorbahnhof, wo sich der Busbahnhof befindet. Dann gingen wir über den Benderplatz, der während der Festungszeit als Friedhof benutzt wurde, zu den Verwandten. Vom Kleinbahnhof ist noch das Bahnhofsgebäude vorhanden. An die Erlöser-Kirche erinnert nichts mehr, die Bonifatius-Kirche steht noch.
Während Rosa auf dem Markt war, bummelte ich die Rosenthalerstr. (ul. Pomoraka) entlang zur Universität, an der Elisabeth-Kirche vorbei zum Ring, wo ich auf der Post, Ecke Schweidnitzerstr. Briefe aufgab. Die Verständigung war nicht leicht, denn das Porto nach Westdeutschland ist von dort aus höher als für Briefe die nach hier gehen.
Über den Blücherplatz ging es zurück. Dann gingen wir gemeinsam über das Bürgerwerder am Allerheiligenhospitel vorbei zum Königsplatz. Von dort aus sieht man Richtung Westen nur leere Flächen, die jetzt teilweise bebaut werden. Der Freiburgerbahnhof ist in alter Pracht wieder erstanden.
Über den Sonnenplatz (PKWN), wo Neubauten stehen, die Gartenstraße, entlang die Schweidnitzerstraße, Zwingerstraße, (der Zwinger ist jetzt Klubhaus geworden) am Hallenschwimmbad und der Feuerwehr vorbei zur Liebichshöhe. Am Ohlauer Stadtgraben hinter der Liebichshöhe sind noch die Reste der Führerbunkers zu finden. Die Ohlauerstraße entlang Richtung Neumarkt, der nicht zu erkennen ist, da dort alles Neubauten dort stehen und der Gabeljürge nicht mehr vorhanden ist.
An der Rittermarkthalle sahen wir viele Zigeuner. An der Vinzenz-Kirche, sie wurde gerade renoviert (alle Kirchen stehen unter Denkmalschutz und werden mit Staatlichen Mitteln wieder aufgebaut, so auch die völlig ausgebrannte Magdalenenkirche), Ursulinenkloster vorbei zur Methias- Kirche. Zurück zur Rittermarkthalle, wo wir uns an einer Brause labten, an der Oder entlang, alte und neue Regierung (sind Verwaltungsgebäude geblieben) über die Kaiserbrücke (Most Grunwaldski) zum Rollfeld, wo teilweise schon Neubauten entstanden sind. Die technische Hochschule ist sehr erweitert worden. Von der Memellandstraße ab führen wir mit der Straßenbahn am Waschteich, an der Michaeliskirche vorbei zum Trebnitzerplatz und gingen dann zu den Verwandten.
Die Hitze setzte einem sehr zu. Um 16 Uhr fuhren wir mit dem Bus nach Auras zurück. Als wir dort ankamen regnete es.
Samstag, den 17.07.1965
Es sah sehr nach Regen bzw. Gewitter aus. Trotzdem habe ich erst meine Hemden gewaschen, ehe ich nach Auras ging. Gerade bis zum Rathaus kam ich noch, wo ich mich unterstellen konnte, dann brach das Gewitter los. Der Postangestellte war nicht so gesprächig wie ich es mir gedacht hatte. Jedenfalls meinte er, ich solle nicht ins Haus gehen, als ich ihn darum fragte. Es wäre nicht gut, meinte er. Er dürfe in Deutschland auch nicht in ein Haus gehen. Darauf konnte ich ihm nur antworten, dass er gleich mitkommen könne um sich anzusehen wo ich wohne. 1964 bei meinem ersten Besuch hier war er anders gewesen. Da wollte er mir alles Zeigen. Leider hatte ich damals keine Zeit dazu. Wie ich dann erfuhr, hat er sich oben in 2 Stuben eine Tischlerwerkstatt eingerichtet. Vielleicht sollte ich das nicht sehen. In der Gibelstube waren die Fenster entzwei die 1964 noch ganz waren.
Als das Gewitter vorbei war ging ich zum Schloss, durchquerte den Wallgraben und ging zurück zur Walke. Das Schloß wurde nach 1946 zerstört, jetzt soll es wieder aufgebaut und als Kulturhaus eingerichtet werden. Die Krone wird als Jugendkulturhaus umgebaut. Anm. Auf einem Bild von Erich Stolke (1957) ist das Schloss noch keine Ruine. Man erkennt darauf bereits Spuren der Vernichtung wie fehlende Fenster.
Nach 16 Uhr machte ich mich auf den Weg nach Jäckel (Jary), obwohl ein Gewitter heranzog. Im Wald war es recht still. Einige Kinder suchten Blaubeeren. Auch in Jäckel gibt es kein Gasthaus mehr. Die Hauptwege sind noch so wie sie waren, so das ich den Weg fand. Zur Vorsicht hatten mir die Pezuch-Mädel schon 2 Familien genannt die deutsch sprechen, bei denen ich einkehren könnte falls es regnen sollte. Es ging aber soweit alles gut. Erst nach Jäckel, in Richtung auf die Chaussee Obernigk-Riemberg begann es plötzlich zu regnen. Dann kam das Gewitter, aber wie! Die Bäume boten nicht genügend Schutz. Durch das sumpfige Gelände schlugen die Blitze überall ein. Da kam ein Mann von der Chaussee her, der mich auf polnisch ansprach. Da er merkte, er kam so nicht weiter, sprach er deutsch. Es stellte sich heraus, dass er in Jäckel in der Försterei wohnte. Da er nach Alkohol roch, fragte ich ihn nach dem Namen, ehe ich auf sein Angebot einging, mit in sein Haus zu kommen. Da er Familie hatte, wie er sagte, schien es mir nicht so gefährlich. Allerdings hatten mir die Pezuch-Mädel den Namen nicht genannt. Doch mir war es gleich. Ich war froh, als ich aus dem Wald kam, denn ich war nass bis auf die Haut. Der Ausweis löste sich auf, die Zigaretten und Streichhölzer waren unbrauchbar geworden, aus den Schuhen lief das Wasser.
Bei Familie W. angekommen, wurde ich freundlich aufgenommen. Sie waren ärmlich, aber sehr sauber eingerichtet. Ich musste meine Sachen ausziehen, sie wurden am Ofen getrocknet. Es gab warmen Tee und Brötchen. Das unangenehme war die Sprache: untereinander sprach die Familie polnisch, Herr W. Mit mir deutsch. Er fragte gleich, wie viel Geld ich bei mir hätte. Na, ich war bedient. Doch was sollte ich machen? Den angebotenen Schnaps habe ich lieber abgelehnt. Das Gewitter ließ nur langsam nach. Die Familie ist 1948 nach Jäckel gekommen und haben sie das Haus wieder eingerichtet: Türen und Fenster lagen im Wald. Sie haben bei Posen noch eine Wirtschaft und wollten auch wieder dorthin zurückgehen, da sie sich in Jäckel nicht wohl fühlten. Denn es gehörte ihnen ja nichts, wie sie sagten.
Es wurde schon dunkel. Familie W. meinte, ich müsse bei ihnen übernachten. Meine Stimmung kann man sich ja vorstellen. Als ich entschieden erklärte, das ginge nicht, denn niemand wüste wo ich geblieben sei, besprachen sie sich wieder. Schließlich erklärte sich der Sohn bereit, mich mit dem Motorrad nach Walke zu bringen. Ich war heilfroh als ich dort wieder gut gelandet war. Als die Pezuch-Mädel es erfuhren meinten sie nur, bei W. Ist man gut aufgehoben, da passiert nichts.
Das hätte ich vorher wissen sollen. Das war mein Ausflug nach Jäckel.
Sonntag, den 18.07.1965
Es war schlechtes Wetter, daher wurde mal länger geschlafen. Nach dem Mittagessen gingen die Pezuch-Mädel zur Kirche. Ich wartete auf Helmut (Neffe von Frau Schiller), der mich mit dem Motorrad nach Trebnitz bringen wollte. Da klopfte es an der Tür. Natürlich denke ich es wird Helmut sein, doch es war ein anderer junger Mann und sprach mich mit Namen an. Als er mein verdutztes Gesicht sah, erklärte er: Werner Müller ist mein Name. Er war mit seiner Frau und seinen Eltern im Wagen nach Auras gekommen. In der Stadt hatte er sich schon alles angesehen und nach Deutschen gefragt. Da kamen gerade die Pezuch-Mädel dazu, die sie dann zum Ecke-Hof schickten. Als die Mädel zurück waren gab es Kaffee. Viel und lange haben wir uns erzählt. Sie fuhren dann noch zum Schloss. Unterdessen bin ich gleich zum Friedhof gelaufen, wo wir uns noch trafen, weil sie dort einige Gräber aufsuchen wollten. Alle haben wir nicht gefunden. Durch die Zerstörungen findet man sich schlecht zurecht und verliert dann ganz die Richtung. Das Leichenhaus sieht sehr mitgenommen aus, steht aber noch, es wird jetzt nicht benutzt. Das große Kreuz ist jetzt umgebrochen, völlig morsch. Dann waren wir noch auf dem Trümmergrundstück des Wachmeisterhauses und dem Obelisken, der dort im Garten für die gefallenen Russen aufgestellt wurde. Die Anlage dazu sind allerdings stark verwildert.
Dann fuhren Müllers wieder nach Breslau, wo sie ihr Nachtquartier hatten. Sie waren erschüttert und wollten nicht noch einmal hinfahren. Langsam ging ich zur Walke zurück.
Abends kamen noch Helmut mit Frau auf dem Motorrad an. Wegen des schlechten Wetters hatte er von einer Fahrt nach Trebnitz Abstand genommen. Es gab allerhand zu erzählen.
Montag, den 19.07.1965
Nach dem Frühstück ging es mit einem geliehenen Fahrrad nach Riemberg, Pathendorf (Bukowice), was nicht sehr zerstört ist, bis zur Kreuzung, wo es nach Thiergarten abgeht. Wie mir die Pezuch-Madel gesagt hatten, lebt in Tiergarten noch eine deutsche Familie. Daher suchte ich zunächst Familie H. Bartsch auf, um nähere Erkundigungen über Konradswaldau (Gorowo) einzuziehen. Frau B., sie stammt aus der Gegend von Oppeln, war gerade bei ihren Eltern die die Aussiedlungsgenehmigung nach Westdeutschland erhalten hatten. Herr B. meinte, sie hätten es als Deutsche sehr schwer. Er spricht ein unverfälschtes Dialekt. Seine Kinder ebenfalls. In der Schule haben sie es daher schwerer, denn dort müssen sie polnisch lernen. Im Radio höre ich Westsender, die man dort viel hört, ebenso Radio Wien.
In Konradswaldau sind keine Deutschen mehr, wohl aber noch in Heinzendorf (Bagno). Der Friedhof von Tiergarten ist eingezäunt. Dafür soll aus dem Westen Geld geschickt worden sein, damit alle Friedhöfe, die direkt an einer Straße liegen, eingezäunt werden, dann sind sie sich selbst überlassen. In einigen Jahren wird der Tiergartener Friedhof wieder Wald geworden sein, nur einige Steine künden dann noch von der ehemaligen Ruhestätte. Die Verstorbenen werden jetzt nach Heinzendorf gebracht. Es wurde viel Wald angepflanzt. Alles was die Menschen nicht bewirtschaften können, wurde mit Kulturen bestellt. An der Kreisgrenze Wohlau/Trebnitz kam ich vorüber. Nachdem ich einige Bilder gemacht hatte, ging ich weiter nach Gallendorf (Skokowa). Rechts und links der Straße wurde ebenfalls Wald angepflanzt. Dagegen sind von Gallendorf nach Stroppen (Strupina) und von dort nach Konradswaldau (Gorowa) die Felder alle bestellt. In Stroppen ist noch sehr viel zerstört. Die Kant-Mühle in Gellendorf ist in Betrieb. Es gibt dort viele Einzelwirtschaften. Auf der Rückfahrt machte ich wieder in Tiergarten Station. Man musste nach der langen Fahrt mal mit jemanden sprechen. Zu erzählen gab es viel. So hofften Bartsch noch 1965 herauszukommen, zur Mutter nach Westdeutschland, die dort schon einige Jahre lebt. Unter anderem erzählte mir Herr B., dass erst vor kurzem an dem Wäldchen vor der Chaussee ein Doppelmord geschehen sei. Der Buchhalter holte von Wohlau das Geld zur Auszahlung nach Tiergarten. Er und der Kutscher wurden von den Gutsleuten umgebracht und dort verscharrt. Ein schönes Gefühl, weil ich dann an dieser Stelle vorbei musste. Als Fremder fällt man immer auf, wenn man auch nicht auffällig gekleidet ist. Doch kommen viele Deutsche hin, die früher mal dort gewohnt haben. Bei Familie B. ist bald jeden Monat Besuch auf der Durchreise. Wenn es auch fremde Leute sind, denn auch mir war Familie Bartsch unbekannt, war es doch ein so nettes Zusammentreffen, als ob man sich schon lange kannte.
Am späten Nachmittag, wir waren auf dem Rübenacker, um die Gräben zu vertiefen damit das Wasser ablaufen konnte, kam Kaßner Ernst mit dem Rad an. Er war mit beiden Jungen bei einer Bekannten in Schebitz (Szewce) untergebracht, die ihm auch die Einladung geschickt hatte. Wir hatten uns schon vorher verabredet, ehe wir die Reise antraten. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Sie wollten früh um 6 Uhr mit dem Bus in Auras sein.
Es folgen einige Bilder von Konratswaldau
Dienstag, den 20.07.1965
Zeitig bin ich aufgestanden und gleich nach dem Frühstück los zum Ring, zur Bushaltestelle gelaufen. Doch der Besuch kam nicht. Also wieder zurück nach einem kleinen Bummel durch Auras.
Wir wollten dann mit den Rädern nach Dyhernfurth fahren, da kamen alle 3 Kaßners an, mit Rädern. Nach einer kurzen Pause fuhren wir nach Auras und stellten die Räder auf dem Soyka-Hof unter. Nur gut das Adelheit mitkam, sonst wäre es mit der Verständigung schlecht gewesen. Die Leute waren zwar sehr freundlich, doch leider klappte es mit der Sprache nicht.
Dann hatten wir fast ganz Auras abgelaufen und Bilder gemacht. Anschließend waren wir noch zur Werft und dann zum Mittagessen in der Walke.
Es folgen Auraser Bilder vom 20.07.1965
Weitere Bilder von der Radtur nach Dyhernfurth
Nachmittags fuhren wir nach einem kurzen Abstecher in Hauffen nach Jäckel (Jary), Riemberg (Roscislawice), Tannwald (Jodlowiece), nach Reichwald (Waly). Dort besichjtigten wir das Kraftwerk. Es stand zwar: Betreten verboten an einer Tafel davor; doch andere Leute benutzten auch den Weg durchs Kraftwerk um über die Oder zu gelangen. Wir also auch. Das Kraftwerk versorgt zum Teil Rokita, zum Teil Breslau. Die schon vor dem Krieg geplante Anlage ist gut ausgebaut worden. Durch einen Kanal mit Schleusen wird die Schifffahrt nicht behindert. Auf der anderen Seite entstand ein schönes Waldbad. Dann fuhren wir über Althof (Str. Dwor) zurück und trennten uns in Auras, nachdem wir uns für Freitag in Breslau verabredet hatten. Es war eine schöne Radtour.
Mittwoch, den 21.07.1965
Um 3.30 Uhr mußten wir aufstehen und zum Bahnhof Hennigsdorf laufen, wenn wir den Zug erreichen wollten, der in Breslau Anschluß nach Glatz (Klodzko) hatte. Es ging im Eilschritt voran. Zum Glück nahm uns nach „der Krone“ ein Gespann mit, so daß wir schneller zum Bahnhof kamen. Der Zug nach Breslau war voll. In Breslau mußten wir die Karten nach Glatz lösen. Bei Gewitter fuhren wir ab. Ab Strehlen (Stezelin) hatten wir Sitzplätze. Ein Unwetter war vor einigen Tagen bei Münsterberg (Ziebice) gewesen. Es sah noch wüst aus. Arbeitsmaterial der Konservenfabriken lag überall herum, der Bahndamm war unterspült worden, der Zug konnte nur langsam fahren, die Felder waren aufgerissen. Dann sahen wir eine Wagenkolonne ziehen, es waren aber keine Zirkusleute sondern Roma mit ihren bunten Wohnwagen. Um 9.15 Uhr waren wir in Galtz Hauptbahnhof. Es regnete nicht mehr. Vor 21 Jahren waren wir dort mit der Schule evakuiert gewesen. Deshalb wollte ich gern noch einmal dahin fahren. Wir gingen vom Bahnhof aus in Richtung Ring. Die Evang. Kirche gehörte nun der kath. Gemeinde. Vor dem ehemaligen Altar wurde ein Hochaltar eingebaut, dahinter eine Kapelle. In der Straße zum Ring wohnen Roma, die ihre Herkunft aber wirklich nicht leugnen können. Am Ring haben wir Kaffee getrunken, mußten aber erst eine halbe Stunde warten da es keinen Strom und kein Wasser gab. Die Leute sind geduldig und murren nicht. Was blieb uns also anderes übrig, als gleiches zu tun. Am Rathaus von Glatz, die Stadt ist 1000 Jahre alt, stand eine Tafel. Als ich den Inhalt wußte, war ich geschlagen: wiedererhalten am 8. Mai 1945.
Viele Busse bringen Fremde nach Glatz (wie hier in Dresden), vor allem Tschechen. Es ist ein reger Verkehr. Von Glatz aus hat man Gelegenheit, mit Bussen in die Bäder zu fahren. Der Busbahnhof ist neben dem Stadtbahnhof, in einem besonderen Gebäude sind Schalter für Fahrkarten und Gepäck, ebenso die Warteräume untergebracht. Durch Lautsprecher werden die Busse angekündigt.
Viel hatten wir abzulaufen. Das Wetter war einigermaßen günstig. Auch dort sind die Friedhöfe verschlossen und mit Schildern versehen:
Betreten Verboten!
In Glatz ist sehr viel zerstört, die alten Häuser auf dem Festungsweg wurden abgerissen. Der Ring mit seinen Laubengängen, dem Rathaus, der Mariensäule, sieht unverändert aus, wenn nur die Sprache und die manchmal sehr polnisch wirkenden Menschen nicht wären. Die Brücken über die Neiße sind noch da, auch die beiden großen kath. Kirchen und das Kloster am Roßmarkt. Nachdem wir noch am Bad, auf dem Weg dorthin entstehen viele Neubauten, waren, was sehr kümmerlich aussieht, so ungepflegt, fuhren wir um 16.30 Uhr mit dem Bus zurück nach Breslau.
Unterwegs gab es viel zu sehen. Wir kamen durch Wartha (Bardo), was auch heute noch ein bekannter Wallfahrtsort ist und fuhren über Kamenz (Kamieniec Zabkowicki), dessen Schloß weithin sichbar ist, Frankenstein, Nimptsch (Niemeza) -älteste deutsche Siedlung im Osten-, wo wir eine Zigarettenpause machten, nach Breslau. Dicht vorbei am Zobten ging es.
Auf dem Fränkel-Platz (jetzt Busbahnhof) kamen wir an. Mit dem Zug fuhren wir um 20.37 Uhr nach Hennigsdorf. Da er von Hirschberg ( Jelenica Gora) kam und weiter nach Allenstein fuhr, war er sehr voll. Müde liefen wir von Hennigsdorf nach der Walke, ein ganz schön weiter Weg! Der Tag war anstrengend gewesen, denn unterwegs wollte man sich ja auch nichts entgehen lassen. Dauernd mußte man aufpassen um möglichst viel mitzubekommen.
Hier noch einige Bilder von Glatz
Donnerstag, den 22.07.1965
Feiertag in Polen: 21 Jahre Polen. Ich las im Auraser Stadtblatt, welches sich bei Pezuch fand. Es war der Jahrgang 1914, wenn auch nicht ganz vollständig, brachte es doch einige interessante Sachen aus der Cronik von Auras. „Ich durfte es mitnehmen“.
Mittags kamen die Obernigker Verwandten zu Besuch. Nachmittag fuhren wir mit den Rädern nach Dyhernfurth. In Rokita (chem.Werk) staunte ich über das Ausmaß des Werkes. 5000 Menschen sind dort beschäftigt. Es wird laufend weiter gebaut. Wahren (Warzyn) und Kranz (Kransko) sind eingemeindet worden. Riesige Wohnblocks sind entstanden, doch reichen sie noch nicht aus. Geplant sind weitere Wohnblocks in Auras an der Dyhernfurther Str. Jetzt werden die Leute noch mit Bussen von weit hergeholt. Die chemischen Grundstoffe, die im Werk hergestellt werden, exportiert Polen viel ins westliche Ausland, wie aus einer großen Tafel zu entnehmen war.
Die Gefangenenbaracken sind noch vorhanden, sie dienen als Wohnlager.Dyhernfurth selbst sieht gut aus. Anläßlich eines Besuches von Chrutschow wurden alle Häuser am Ring renoviert, wenigstens äußerlich. Der Bunker ist noch vorhanden. Ebenso die Kirche, das Pfarrhaus, das Rathaus. Das Schloß wurde als Kulturhaus eingerichtet. Die Gaststätte dort drinnen hat großstädtischen Charakter. Rote Läufer liegen auf den Treppen nach oben, wo sich eine große Bibliothek befindet und ein Kino. Die Anlagen sind sehr gepflegt. Gegenüber der Post ist ein großer Sportplatz entstanden. Dann waren wir noch im Hedwigskloster. Es sind dort dieselben Ordensschwestern die wir auch in Auras hatten, aber jetzt alle polnisch. Das Krankenhaus wird noch belegt. Der Friedhof des Klosters ist sehr gepflegt, auch die Gräber der Deutschen werden in Ordnung gehalten. Gleich dahinter beginnen die Neubauten von Rokita.
Die Friedhöfe in Dyhernfurth (evang. und kath.) sehen verwahrlost aus. Da ein Tor eingerissen war, konnten wir auf den Friedhof und liefen zwischen hohen Brennnesseln umher. Vor mindestens einem Jahr hatte wohl jemand versucht die Hauptwehe sauber zu machen, aber dann aufgehört, denn die Unkrautberge lagen noch da, dazu war neues Unkraut gewachsen. Den Judenfriedhof konnte ich nicht finden, da ich nicht mehr wusste in welcher Richtung ich ihn zu suchen hatte.
Auf der Rückfahrt hatten wir von Reichwald aus einen schönen Ausblick auf das Odertal. Es war doch schön dort, eine Landschaft so abwechselungsreich.
Freitag, den 23.07.1965
Wieder war Markttag. Wir fuhren mit dem Bus nach Breslau. Es gab Gewitterregen. Im Bus war rege Unterhaltung, dazu das Viehzeug das auf dem Markt verkauft werden sollte. Doch kam ein Bildstock in Sicht, wurde es still, einige bekreuzigten sich. Dann ging die lebhafte Unterhaltung weiter. Man saß dabei und verstand kein Wort. Nach dem Markt, ich war unterdessen Kaffee trinken gegangen und hatte mir amerikanische Zigaretten besorgt, trafen wir uns mit Kaßners am Hauptbahnhof. Sie mußten noch Geld umtauschen. Wir gingen zum Hochhaus am Ring in die Bank. Als Ausländer wurden sie bevorzugt abgefertigt. Dann waren wir bei Wertheim und an der Jahrhunderthalle, ebenso besichtigten wir den Zoo, der wieder gut aufgebaut wurde. Das alte Eingangstor ist noch vorhanden, dient jetzt als Wirtschaftseingang. Der Haupteingang ist nun auf dem ehemaligen Messegelände welches als Freigelände zum Zoo gekommen ist. In der Imbißhalle stärkten wir uns und hatten einen schönen Blick auf die Jahrhunderthalle, jetzt Volkshalle.
Wir fuhren mit dem Bus vom Odertorbahnhof wieder nach Auras zurück, während Kaßners noch in Breslau blieben. Von Breslau nach Weidenhof verkehren stündlich Busse. So hatten sie noch etwas Zeit um sich Breslau anzusehen. Im internationalen Buchladen waren wir auch. Leider gab es keinen Stadtplan von Breslau zu kaufen. Doch einige Ansichtskarten kaufte ich noch, die ich im vergangenen Jahr nicht bekommen hatte.
Samstag, den 24.07.1965
Wieder ging es nach Obernigk, diesmal mit dem Rad über Jäckel. Da ich bei den Bekannten niemanden antraf, stellte ich dort mein Rad unter und begab mich allein zur Gemeinde wegen der Abmeldung. Die Angestellte war recht freundlich. Nun konnte ich sie doch schon polnisch begrüßen. Das war auch alles. Viel unterhalten konnten wir uns nicht. Als es ans bezahlen gehen sollte, wollte sie kein Geld haben sondern solchen Farbstif, den ich aus dem Westen bekommen hatte. Ich gab ihn ihr und brauchte diesmal keine 2 Zloty zu bezahlen. Hat sie das Geld nun in die Kasse getan?
Am Bahnhof erkundigte ich mich nach den Zügen. Den Fahrplan konnten wir gemeinsam lesen, sonst mußte die Zeichensprache aushelfen bzw. die Zahlen schrieben wir auf und jeder sprach sie in seiner Sprache aus. Ich erfuhr, dass der Zug schon um 8.21 Uhr in Breslau abfahren sollte nach Dresden. Ich mußte also schon um 6.20 Uhr in Hennigsdorf abfahren.
Anschließend war ich noch im Kaufhaus, welches im Zentrum von Obernigk entstand und kaufte eine Keramikvase. Dann holte ich das Rad und traf dabei die Bekannten an. Durch Obernigk ging es dann bei Gegenwind durch den Wald nach Riemberg. In Riemberg war ich noch auf dem Friedhof, holte etwas Erde und einige Stängel von dem Efeu, der inzwischen in Rodensleben angewachsen ist. Nach dem Mittagessen in der Walke ging es mit dem Rad über die Siedlung nach Liebenau (Lubnow), Hennigsdorf, Haasenau bis zu Kiesewetters Hof. Dann wieder zurück. Dabei wurden wieder einige Bilder gemacht.
Noch einige Bilder von Gestern
Sonntag, den 25.07.1965
Um 4 Uhr mußte ich aufstehen, nach Frühstück und Verabschiedung ging es mit den Rädern nach Hennigsdorf. Das Rad, das man mir besorgt hatte war schon recht mitgenommen, es war eine tolle Strampelei. Das letzte Bild entstand um 5 Uhr: Brauer-Bäcker. Dann fuhren wir auf dem Bürgersteig weiter. Früher machten wir es auch schon so, durften uns aber nicht erwischen lassen. Um diese frühe Morgenstunde waren noch nicht viele Menschen unterwegs. Miliz gibt es erst in Obernigk bzw. in Dyhernfurth.
In Hennigsdorf winkten schon Leute aus dem Zug und öffneten gleich die Tür. Es waren die Obernigker Bekannten die verreisten, und ihr Bruder aus Breslau. So hatte ich noch nette Reisegesellschaft und auch in Breslau verging die Zeit schnell bis zur Abfahrt des Zuges.
Unterwegs hatte ich Gesellschaft von einem Ehepaar das nach Zgorzelec fuhr. Der Mann war landwirtschaftlicher Lehrer in Breslau und seine Frau Dolmetscherin für französisch. Der Mann hatte als Schüler eine deutsche Mittelschule besucht, so daß die Verständigung einigermaßen klappte. Seine Frau kam nach dem Krieg aus Frankreich nach Polen zurück. Es war eine recht interessante Fahrt. Aber wir fuhren durch Polen! Das Ehepaar stammte aus Zentralpolen und war erst einige Jahre in Breslau ansässig. Natürlich kannten sie nur die augenblicklichen Verhältnisse. Trotzdem haben wir uns gut unterhalten. Man hat in Polen nach dem Krieg große Umsiedlungsaktionen vorgenommen und die Leute an verschiedenen Orten angesiedelt.
Die Kontrolle verlief in Görlitz auf beiden Seiten glatt und schnell. Wahrscheinlich hatten die Grenzer Sonntagsstimmung. Ich hatte reichlich Eßwaren mitbekommen, sogar Pilze aus dem Jäckeler Wald.
In Dresden-Neustadt mußte ich mich beeilen beim Umsteigen. Genauso war es in Magdeburg. Pünktlich landete ich um 20.45 Uhr wieder in Burg. Es reichte auch. Auf der Rückfahrt hatte ich mit dem Speisewagen entschieden mehr Glück, dauernd kam der Ober durch und bot an.
Zusammenfassung
Zunächst: Von Urlaub kann man nicht sprechen. Es war anstrengend. Doch habe ich auch diese Reise nicht bereut, wenn ich auch längst nicht alles geschafft habe was ich mir vorgenommen hatte. Vielleicht klappt es noch einmal. Doch wenn Pezuch, wie sie es geplant haben, nach Obernigk verziehen, habe ich dann keine Bleibe mehr in Auras. Denn die Pezuch Tochter wohnt mit ihrer Familie sehr beengt. Die können unmöglich noch jemanden unterbringen.
Die Zeit vergeht. Es wachsen dort neue Menschen heran, deren Heimat es geworden ist was einmal unsere Heimat war. Man ist doch fremd dort. Man geht durch bekannte Straßen, weiß wer da und dort gewohnt hat, weiß, was sich abgespielt hat, und ist jetzt dort als Fremder. Vielleicht ist es anders wenn man sich sprachlich verständigen kann.
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Ein schönes Schlußwort, auch denen die jetzt dort leben sehen auf den vielen Bilder wie es 1965 dort ausgesehen hat. Melden sie sich wenn sie Fragen haben oder zeigen wollen wie es jetzt in Ihrer Heimat Uraz aussieht. Jeder Kontakt ist willkommen und wird beantwortet.
Alfred Zahlten